Juni 2011
Massimo Lardi, Baron de Bassus und die Illuminaten
Dr. Gerolf Fritsch
Der Autor, in Poschiavo geboren, ist emeritierter Professor der Pädagogischen Hochschule Chur und war viele Jahre Redaktor der „Quaderni Grigionitaliani“, der Vierteljahresschrift für die Kultur der vier italienischsprachigen Südtäler Graubündens, des Puschlav, Bergells, des Misox und Calanca. Insofern kann die Leserschaft davon ausgehen, dass es sich um einen Insider handelt, dem das Milieu seiner Talschaft mit ihren Familien und Clans, deren Vernetzungen und Verstrickungen gut bekannt ist. Der Name Lardi selbst ist der einer alteingesessenen Familie.
Vor dem Hintergrund des achtzehnten Jahrhunderts zeichnet der Autor ein sozial- und kulturgeschichtliches Milieu, das in seiner Dichte und Farbigkeit – genau bis ins Interieur der Häuser und Paläste – an das Goldene Zeitalter der flämischen Malerei erinnert. Seine Schilderungen, auch die der Landschaft, sind so authentisch, dass der interessierte Leser anhand seiner Ortsangaben Wanderungen im Puschlav und Veltlin nachvollziehen könnte; er würde dabei die charakteristischen Speisen und die hervorragenden Weine aus der Nebbiolotraube immer noch genussbereit finden.
Nach jahrelangen Archivstudien gestaltet Lardi eine historisierende Biografie, eingebettet in eine international verzweigte Familiensaga, ein figurenreiches Darstellungsspiel, aus dem dank seines erzählerischen Geschicks kein labyrinthisches Vexierspiel wird, was ja wegen des vexierbildhaften Themas der Geheimorden naheläge; weiss man doch nie sicher, ob im Zentrum der Minotaurus oder das Bildnis von Sais wartet.
Die Hauptfigur des Baron de Bassus ist facettenreich herausgearbeitet: der Puschlaver Patrizier, klug, energisch, umsichtig, manchmal von stolzer Empfindlichkeit, Jurist, Gutsherr und Politiker, der seine Ziele beim Aufbau des Illuminatenordens ehrgeizig verfolgt, dabei stets besorgt um seine Familie wie um die Verwaltung seiner Geschäfte; er verlegt in einer literarischen Grosstat die erste italienische Übersetzung des „Werther“ in dem kleinen Gebirgsort südlich des Berninapasses, Dr. Goethes berühmten Roman, notabene eines Illuminaten.
Von Trient über Mailand bis München und Ingolstadt spannt sich der Bogen politischer und geistesgeschichtlicher Wirkkräfte, in deren Mittelpunkt mit dem Baron aus Poschiavo der rhätische Freistaat steht, manchmal mit ironischem Abstand beschrieben, verknüpft auch mit heiter-amourösen Episoden, wobei der chevalereske Autor tiefes Verständnis für seine weiblichen Figuren zeigt. – Auf seine Rechnung wird aber auch kommen, wer kriminalistische Spannung liebt, denn natürlich bilden geheime Gesellschaften immer, damals wie heute und gleich welcher Couleur, ein günstiges Ambiente für Schauergeschichten.
So bietet der Roman mit seiner genauen, klaren, differenzierten und nuancenreichen Sprache, offenbar sehr gut übersetzt, einen hohen Gewinn für vielfache Leserinteressen.
In der reichen Bildergalerie im Anhang des Buchs treten die Angehörigen des Patrizier- und Adelsgeschlechts anschaulich auf.
Massimo Lardi, Baron de Bassus und die Illuminaten. Aus dem Italienischen von Johannes Klingen-Protti und Annalisa Viviani. Herausgegeben von Andrea Paganini L’Ora d’oro, Poschiavo 2011. www.andreapaganini.ch/LORA_DORO.html. CHFR 34.00, € 27.